Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven 15

Jean Mofette
WACHST MIR DEN BART VON CHE GUEVARA

Hatte ich schon erwähnt, dass ich Privatschnüffler bin?
Ich zog also die schmutzige Straße entlang, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Eine Asphaltschwalbe bot mir ihre Dienste mit einer schmutzigen Geste an, mit der sie auf die sexuellen Vorlieben des amerikanischen Präsidenten anspielte, mein leeres Portemonnaie bewahrte mich jedoch vor Schlimmeren. Trotzdem hatte ich wieder einen Fall, der Bares versprach: Am anderen Ende der Stadt hatte man die Überreste eines Buchhalters gefunden, fein verschnürt in einem Kuhmagen auf dem Weg in die Wurstfabrik.

Dem Besitzer der Wurstfabrik gehörte auch der Schnellimbiss, in dem der verstorbene Buchhalter gearbeitet hatte und in dem ich meine ersten Ermittlungen anstellte. Hatte ich schon erwähnt, dass ich strikt vegetarisch esse? Ich setzte mich also an einen kleinen Tisch und bestellte eine mittelgroße Portion Pommes Frites. „Mit Majo oder mit Ketchup?“ lispelte die Kellnerin. „Nur Essig.“ antwortete ich. „Extrawünsche kosten auch extra.“ lispelte die Kellnerin schnippisch und lupfte ihre Auslage zurecht, „Also: Mit Majo, mit Ketchup oder mit Extra?“
„Wenn’s kein Essig gibt, nur Pommes ohne alles.“ gab ich kühl zurück. „Na, wenn Sie meinen, das schmeckt…“ lispelte die Kellnerin, trippelte zur Theke und rief: „Einmal Pommes pur!“ Ich blickte ihr nach und sah, wie sie etwas auf einen Zettel ihres Notizblocks kritzelte, den Zettel ließ sie auf den Boden fallen. Ich streckte meinen linken Fuß unter dem Tisch hindurch nach dem Papier aus, klapp, da lag der Zettel unter dem Schuh, die Sehne schmerzte, ich zog den Fuß zurück, langte hinunter und hielt den Wisch mit den fettigen Fingerabdrücken der Kellnerin in meinen Händen. Auf dem Zettel stand in Kellnerinnenkürzeln „Toiletten“ und darunter „gleich“.

Hatte ich schon erwähnt, was für’n alter Hase ich bin? Jedenfalls alt genug, um den Braten zu riechen, der mir hier zwar sehr appetitlich, aber nicht ganz überzeugend aufgetischt wurde. Ich verließ also in einem unbeobachteten Moment den Imbiss durch’s Haupttor, nur um heimlich um das Gebäude herum zum Hintereingang zu schleichen, wo ich gerade noch sehen konnte, wie das dralle Kellnerinnenpüppchen von drei finsteren Football-Typen in einen 69er Chevy verfrachtet wurde. Ich notierte mir das Kennzeichen. Nach ein paar Telefonaten hatte ich einen Namen und eine Adresse und brauchte nur noch ein Taxi.
Inzwischen dräute der Abend und der Mond war aufgegangen. Ich hörte Kies unter den Reifen knirschen, denn das Taxi bog jetzt in die angegebene Adresse ein. Noch ein paar Meter und ich konnte mich von den klebrigen Kunstledersitzen pellen – weiß der Teufel, wer sonst für dieses Taxi bezahlt. Der Wagen hielt vor einer Toreinfahrt neoromantischen Stils, das schwere Eisengitter machte eine Weiterfahrt unmöglich, also bezahlte ich den Fahrer, der mir zum Abschied ein paar Visitenkarten lokal ansässiger Liebesdienerinnen in die Hand drückte, die ich wegwarf als das Taxi außer Sichtweite war. Dann kletterte ich über die Mauer.

Hatte ich schon erwähnt, dass ich ein gutes Auge habe? Nach der Silhouette seiner Villa zu urteilen, die im Mondlicht aufleuchtete, als ich mich vorsichtig auf die andere Seite der Mauer hinabließ, hatte der Typ ein bisschen zuviel Schotter im Sack. Niemand schien zuhause zu sein, jedenfalls sah ich kein Licht in den Fenstern. Der Himmel zog sich zu als ich mich dem Haus näherte und dabei durch manches Gebüsch schlagen musste. Schließlich war es so dunkel, daß ich die Hand vor Augen nicht mehr sah und stehenblieb, um mich neu zu orientieren. Umsonst, denn die Wolken hatten den Himmel zur Gänze bedeckt und so erblickte ich um mich herum nichts als die undurchdringliche Schwärze der Nacht.

Hatte ich schon erwähnt, dass ich auch ein gutes Gehör habe? Um mich herum hörte ich Hähne spannen, aber es ist nicht gerade erfolgversprechend, Deckung zu finden, wenn man gar nichts sehen kann. Trotzdem wirbelte ich herum. „Hähähä, geben Sie sich keine Mühe, im Gegensatz zu Ihnen sind meine Leute nicht nachtblind!“ dröhnte es von oberhalb. Eine Salve schlug krachend vor meinen Füßen ein, das Mündungsfeuer flammte nur fünfzehn Meter von mir entfernt auf, ich rätselte über den Nachhall. Dann dröhnte die Stimme wieder: „Ha-haha, da staunen Sie!! Für die einen ist es schwärzeste Nacht, für die anderen ist es der längste Tunnel der Welt!!!“
Neonröhren flackerten auf und umhüllten ein Dutzend MG-Schützen in irisierendes Licht. Dazwischen stieg ein kleiner, fetter Mann mit goldbrauner Krawatte und einer dicken schwarzen Zigarre zwischen den Zähnen die Aluminiumstufen einer Gerüsttreppe hinab. Ich befand mich offenbar nicht mehr im Freien, sondern war auf meinem Weg durch’s Gebüsch in ein Stollensystem geraten, ohne etwas zu bemerken. Und es schien, als sei dies nur ein kleiner Teil der unterirdischen Festung des größenwahnsinnigen Zwerges, der jetzt, von einem stahlköpfigen Hühnen begleitet, eigentümlich auf mich zu wackelte und, mit seinen kurzen Armen die ganze Welt andeutend, seinen finsteren Plan erläuterte. Natürlich hatte er nicht die geringste Chance, damit durchzukommen.

Nachdem genug böses Blut geflossen war und die Polizei die Überlebenden einsammelte, kroch ich hinter einem Stück Wellblech hervor, das mir mehr schlecht als recht Deckung geboten hatte, als die Scharfschützen des 7. Reviers in einem hektischen Notwehreinsatz das Feuer der Bande erwiderten. Draußen regnete es in Strömen und ich verabschiedete mich hastig vom Einsatzleiter. Vor dem aufgebrochenen Tor lagen ein paar Karten weniger als vorher, vielleicht hatte der Regen sie in den Rinnstein gespült. Ich ging zu Fuß zurück in die Stadt, der Regen rann mir den Hals hinunter und ich schlug den Kragen hoch.

Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven / Wachst mir den Bart von Che Guevara
Dieser Text erfüllt alle Bedingungen des Dobermann-Rallye-Wettbewerbs Nr. 4:
A. Eine wilde Schießerei soll Teil der Geschichte sein.
B. Es soll ein Körperteil eines Tieres vorkommen, von dem dieses Tier mehr als drei Stück hat.
C. Der Text soll die Formulierung enthalten: Die sexuellen Vorlieben des amerikanischen Präsidenten.
D. Und die Formulierung: Für manche ist es die schwärzeste Nacht, für andere der längste Tunnel der Welt.
Dieser Text erschien erstmalig im Juli 1998 in den Dob Red Protokollen 2.
Die Redaktion Dobermann Rallye existierte von 1991 bis 2000.
Publikationen der Redaktion erfolgten unter den Namen: Dobermann Rallye, Pekinese Schnitzeljagd und Die Dob Red Protokolle