Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven 16

Martin Bartholmy
WIEVIELE KNOTEN KÖNNEN PLATZEN?

„Heute auf keinen Fall mehr Monopoly!“ Frank war richtig sauer. Mitten auf die schöne Schlossallee – bumm, tschüß und weg. Er nahm seinen zernagten Orbit-Klumpen aus dem Mund und pappte ihn mit Schmackes unter den Tisch. Die anderen grinsten. Frank aber war wirklich sauer. Wie der Pinot Grigio. Er entkorkte eine neue Flasche, räumte die leere beiseite und beschloss, diesmal nicht nur sich, sondern den anderen auch – diese Biertrinker! – reinen Wein einzuschenken. Sauer macht Sodbrennen. Noch eine Runde Monopoly und hier brennte die Hütte.

Karen schlug kichernd: „Malefiz! Genau: Malefiz!“ vor. Aber Frank wischte die Männchen samt Brett vom Tisch: „Jetzt wird Quartett gespielt. – Keine Diskussion!“ Wenn sich alle schon auf seine Kosten amüsierten, ihm sein Geld abzockten, ihre Beine unter seinem Tisch räkelten und seinen Wein tranken, dann wollte er jetzt endlich auch mal das Spiel bestimmen. Also: „Quartett. Und keine Widerrede.“
Michael schlug vermittelnd vor: „OK. Warum nicht Quartett? – Wie wärs denn mit Länderquartett?“ Annika, die noch recht neu in der Runde war, verstand nicht ganz: „Länderquartett?“ Michael, einer knurrigen Entgegnung Franks zuvorkommend, erklärte hastig: „Ja. So wie Autoquartett – mit PS, KmH und Umin. Nur statt Autos Länder.“ Annika verstand immer noch nicht: „Wieso? Wieviel Umin hat denn Sri Lanka?“ Karen, die schon ein wenig angezwitschert war, kreischte los: „Sri Lanka! Sri Lanka! Der neue Nissan Sri Lanka!“ Aber Frank hatte sich inzwischen gefangen und erklärte sachlich: „Na, ganz einfach. Statt Autos Länder. Und auf den Karten steht die Einwohnerzahl, das BSP oder Leb.-Erwart., Analph., Bev.-Wachs., Sprache und Religion. – Und das Bessere gewinnt.“ Er ging zu seinem Wohnzimmerschrank, öffnete ein Oberschränkchen und schaute musternd auf Reihen kleiner Plastikkistchen. Michael flüsterte Annika zu: „Frank sammelt die. Er hat mindestens fünfzig Länderspiele.“

Frank hatte bereits ein Plastikkästchen gewählt: „Hier. Das nehmen wir : Das IWF-Quartett.“ Er mischte, teilte aus und begann: „Leb.Erwart., fem. 77,4, sticht.“ Er kassierte Nigeria, Paraguay und die Philippinen ein, wobei er gönnerhaft bemerkte: „Naja, Japan. Leichter Stich.“ Dann stricht er über seine nächste Karte, zögerte erst – dann aber im Stakkato: „G7 – sticht.“ Von Michael bekam er dafür Brasilien, von Karen Dänemark. Aber Annika stach sein Italien mit ihrem „Kanada – sticht!“
Bei der nächsten Karte zögerte Frank noch länger, jetzt ging es immerhin um ganze acht Länder, grinste dann, sagte: „Rel.: 93% Lutheraner – sticht.“ Annika musterte ihre Karte und entgegnete: „44% Serbisch-Orthodoxe“. Frank wollte schon mit seinem Island ihr Jugoslawien mitsamt den anderen Karten einsacken, als Annika empört „Was soll das denn jetzt?“ krisch. Gerade wollte Frank zu einer Entgegnung ausholen, als Michael die Hand hob, abwinkte und an die ebenfalls verwundert guckende Karen gewandt sagte: „Stimmt schon, stimmt schon. Frank hat recht. Das ist ein altes Spiel, noch mit Jugoslawien und so, da stechen die Protestanten alles andere ab. – So wie in den neuen Länderspielen eben die Buddhisten“, fügte er erklärend hinzu. Annika ließ ihre Karte trotzig fahren: „So ein Scheiß! – Spielen wir lieber was anderes. Das ist ja rassistische Ausbeuterscheiße, hier.“ Geistesgegenwärtig schlug Karen, die gerade Pinot nachfüllte, vor: „Flugzeugquartett! Das hab ich in der Schule immer stundenlang gespielt.“
Frank zögerte noch – endlich schien er ja einmal, einmal zu gewinnen – aber Michael war schon an seinen Kartenschrank getreten und hatte, aus einem anderen Fach, ein PanAm-Quartett hervorgezogen. Kurz zögerte Frank noch, machte dann aber gute Miene zum neuen Spiel, mischte und teilte aus.
Diemal begann Karen: „Reichweite 7700 km – sticht.“ Mit ihrer Lockheed Super Constellation kassierte sie eine Cessna von Michael, Annikas Tante Ju und Franks StuKa. Der wollte eben schon verärgert auffahren, wandelte es aber gerade noch, scheingelassen, in „Aufstehen und Wein nachschenken“ um. Ohne abzuwarten fuhr Karen fort: „Spit-zengesch. Mach Zwo“, Michael ließ seinen Fieseler Storch matt fallen, Frank schob zögernd seine Do X nach, aber Annika sackte doch endlich alles mit ihrer F 16 ein. Während Frank sich zufrieden auf seine nächste Karte konzentrierte, fuhr Annika mit dem Zeigefinger nachdenklich über die Werte ihres nächsten Fliegers. Frank wußte, jetzt konnte ihm praktisch nichts passieren. Die X-13, da war eigentlich gar nichts gegen zu machen. Annika zupfte ihre Oberlippe, sagte dann: „22563 Bolzen.“ Die anderen beiden warfen Annika schicksalsergeben ihre Karte zu. Nichts zu reißen, hier. Frank bewegte sich nicht. Dann schleuderte er seine sämtlichen Karten auf den Tisch – seine X-13 ! – und kreischte: „Schon wieder die verfickte DC-10!“

Nach mehreren Schlucken Wein hatte er sich dann ein wenig beruhigt. Tatsächlich – Annika hatte die Karten eingesammelt und überprüft – war Franks X-13 durchaus nicht so unschlagbar gewesen, wie es ihre Höchstgeschwindigkeit, Flughöhe und Reichweite hätten erwarten lassen. Auch in der Kategorie „Abstürze“ nämlich wäre ihm Annikas DC-10 haushoch überlegen gewesen. Für ein Testflugzeug eigentlich alles andere als ein Ehrenzeugnis. Beschämend.

Während sie das alles noch erörterten, erkorkte Frank eine weitere Flasche Pinot. Allein die aeronautische Erregung ließ ihm den Zieher abglitschen, und einiger Wein sammelte sich pfützenweise auf dem Parkett. Annika sprang Frank – wegen solchen technischen Scharmützeln durfte ihre noch junge Romanze doch nicht absterben – rasch mit einem Kleenextuch zur Hilfe. Allein, in der Hast glitt sie in den Lachen sauren Pinots aus, fiel mit dem Kopf voll in Franks Schoß, ihre Beine sausten unter den Tisch, ihre hochfahrenden Kniee warfen ihn fast um. Wäre ihr linkes Knie nicht an Franks Kaugummi fest haften geblieben, der Tisch wäre auch gefallen. So purzelte er erst, als Frank ihr wieder auf die Beine helfen wollte. Der Kaugummi hielt seine enge Verbindung zu Annikas Kordhose fest aufrecht.

Ein wenig heißes Wasser und Karens tätige Hilfe heilten auch dieses Malheur. Der Tisch wurde wieder aufgestellt, die Karten verräumt und bei einem Bierchen saß man endlich noch länger zusammen.
„Schon ein Ding“, meinte Annika. „Erst fällt meine DC-10 auf Franks Schloßallee-Hotels und äschert sie allesamt bis auf die Grundmauern ein, dann schießt meine DC-10 auch noch seine X-13 aus den Wolken….“ – „Na bei der Zahl!“ warf Karen ein. „Und die dreizehn Hotels auf der Schloßallee waren vielleicht auch ein bißchen zuviel des Guten“, warf versöhnlich Michael ein.
„Aber“, einträchtig schloß Frank den eigentlich doch ganz gelungenen Abend, „bei soviel Pech im Spiel, da muß es mit der Liebe ja wirklich schlußendlich klappen.“
„Koinzidenzen, Koinzidenzen ohne Ende!“ summte vergnügt Annika.

Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven / Wieviele Knoten?
Dieser Text erfüllt alle Bedingungen des Dobermann-Rallye-Wettbewerbs Nr. 5:
A. Der Absturz einer DC-10 soll eine zentrale Rolle spielen.
B. Jemand soll vor Lachen mit dem Knie am Kaugummi unterm Tisch haften bleiben.
C. Es soll ein Sportler mit mehr als 50 Länderspielen vorkommen.
D. Sowie die Formulierung: Koinzidenzen, Koinzidenzen ohne Ende.
Dieser Text erschien erstmalig im Juli 1998 in den Dob Red Protokollen 2.
Die Redaktion Dobermann Rallye existierte von 1991 bis 2000.
Publikationen der Redaktion erfolgten unter den Namen: Dobermann Rallye, Pekinese Schnitzeljagd und Die Dob Red Protokolle
Martin Bartholmy / Wieviele Knoten können platzen? / Die Dob Red Protokolle 2 / ISSN 1435-1625