Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven 10

Jean Mofette
BRINGT MIR DEN HUT VON ERICH MIELKE

Ich hatte eins dieser billigen Apartments bezogen, das hier stach durch seinen schlauchartigen Schnitt heraus: Zwei mal zehn Meter, das hieß, die Tür am einen Ende und am anderen das Bett, eine einfache Schaumstoffmatratze auf einem Metallrost, ganz so, wie man es in amerikanischen Gefängnisfilmen sieht. Das, was man sonst zum Leben braucht an der Seite mit dem Fenster zur Straße: Tisch, Küche, Kleiderschrank vom Bett aus gesehen. Das andere Fenster war gleich über dem Bett und eigentlich nur eine Klappe aus Milchglas. Ich hatte das Apartment mit Außentoilette gemietet, einmal die Woche ging ich ins Stadtbad für’n Groschen Duschen.

Der Radiowecker zeigte dreizehn Uhr, es klopfte an der Tür, also machte ich mich auf den Weg, aber an der Spüle spürte ich dieses merkwürdige Kribbeln im Nacken, das mir anzeigte, dass hier etwas nicht ganz koscher war. Der Typ im Türrahmen stieß mich mit beiden Armen zurück ins Zimmer und ließ mittels Fußtritt die Tür krachend ins Schloss fallen. Er hatte sich gut vorbereitet, doch die Ausmaße meines Apartments machten ihm einen Strich durch die Rechnung: Er prellte sich sehr schmerzhaft den Ellbogen, als er versuchte, den Schlag auf seinen Kopf abzuwehren, den ich ihm mit der Kasserolle überbriet.

Als der Fremde wieder aufwachte, wusste er nicht, ob er sich den Kopf oder den Ellbogen reiben sollte, tat dann nicht ungeschickt beides zugleich, zwinkerte mir mit schmerzverzerrter Miene zu und sagte: „Das ist aber geräumig hier.“ Er wollte mir weismachen, er wäre mein neuer Nachbar von gegenüber, der nach neuem Papier für die Toilette fragen wolle, der Tagesspiegel sei voll Scheiße, aber ich glaubte ihm nicht, denn seine Schuhe sahen aus, als hätten sie ihn mehr als zwei Pfund gekostet: Handgenähtes, an den Rändern sorgfältig abgebundenes Ziegenleder auf feinster Kreppsohle, mit Leopard abgerundet, die Schnürsenkel aus Goldbrokat. Das waren nicht die Schuhe meiner Nachbarn.

Sein Name sei Vesta, aber vielleicht sagte er auch Nestor, ich verstand ihn immer schlechter, denn sein Hals schwoll kürbisgroß an und sein Gesicht wurde puterrot, ich nehme an, das kam von der Kasserolle, aber schließlich hatte er angefangen. Ich dachte daran, wie es wäre, wenn sein Hals platzen würde und alles mit Blut vollspritzte, und beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Ich machte ihm einen kalten Umschlag mit den Eiswürfeln, die noch im Fach lagen, jedenfalls genug, um ihn über der Gürtellinie völlig nasszumachen. Nachdem sein Hals wieder abgeschwollen war, entpuppte sich mein Gast als Handelsvertreter einer Schweizer Getränkefirma, der mir große Mengen löslichen Kaffees zum einmaligen Vorzugspreis anbot.

Er könne beweisen, dass er tatsächlich löslichen Kaffee verkaufe, und zog einen Beutel aus der Manteltasche, wandte sich behende zum Herd und drehte, ohne dass ich ihn hätte hindern können, die Gasflamme an, in die er mit einem triumphierenden Lachen den Inhalt des Beutels schüttete. Das braune Granulat fing sofort Feuer und eine Stichflamme schoss bis zur Zimmerdecke, in deren Deckung dem Fremden die Flucht gelang. Hinter ihm fing es zu regnen an, die Hitze hatte den Sprinkler ausgelöst, bald schwamm die ganze Bude, aber wenigstens legte sich der Pulverdampf.

Als ich wieder klar sehen konnte war ich rund zur Hälfte nass, draußen heulte die alarmierte Feuerwehr, die Hunde der Nachbarn bellten sich die Kehle heiser. Ich fischte ein kleines Stück Papier vom Boden, einen Notizzettel mit einer verwaschenen Telefonnummer drauf, vielleicht hatte der Kerl sie verloren, das würde ich schon herausfinden. Als ich mir den Fetzen in die Hosentasche steckte, fand ich dort zwei Groschen, mit denen ich im Stadtbad richtig duschen können würde. Mein Blick fiel auf ein Buch mit dem Titel Wachst mir den Bart von Che Guevara.

Ich erinnerte mich, das Buch mit achtzehn Jahren das erste mal gelesen zu haben, in einem Wohnschlauch von zwanzig Metern Länge, am einen Ende das Bett, am anderen das Klo, die Tür in der Mitte, ein Fenster zum Hof und eines zur Straße hin, wo die Jungs aus der Nachbarschaft Fußball spielten. Damals stand neben dem Fenster noch der Käfig mit dem Wellensittich, den mir meine Mutter zum Einzug geschenkt hatte und den ich aus Spaß Betty Milford nannte. Der Vogel war mir ein guter Gesellschafter, auch wenn der Spaß nicht lange anhielt: Eines Morgens fand ich Betty tot auf dem Boden ihres Käfigs liegend, inmitten ihrer eigenen kleinen Kötel auf dem Titelblatt des Tagesspiegels vom Vortag.

Ich wickelte Betty in mein Taschentuch und ging zur Toilette, wo ich sie in die große weite Welt spülen wollte, eine Welt mit mehr Bewegungsfreiheit als ich ihr je hätte bieten können. Der tote Sittich aber verstopfte das Klo und meine wiederholten Versuche, den Abfluss frei zu machen, fluteten das Apartment.

Ich kannte mal einen Sargtischler, bei dem konnte man probeliegen. Einmal hatte er aus Versehen den Sargdeckel zugeschraubt und der, der grad drinlag, hat sich natürlich in die Hosen geschissen, ich glaube, seitdem legt er die Särge immer mit Zeitungen aus. Er hat sich nicht nur in die Hosen geschissen, sondern auch das andere, aber es war wirklich aus Versehen, trotzdem hat ihn das ’ne Stange Geld gekostet. Ich hab‘ ihn gefragt, ob das an der Größe liegt, dass die Leute so etwas nicht aushalten, das wusste er aber nicht. Wir haben dann überlegt, wie groß so ein Sarg sein müsste, damit ein Kunde beim Probeliegen so etwas sagt wie „Ooh, das ist aber geräumig hier!“ Naja, jedenfalls ist der Sargtischler dann auch bald gestorben.

Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven / Hut von Mielke
Dieser Text erfüllt alle Bedingungen des Dobermann-Rallye-Wettbewerbs Nr. 3:
A. Die gesamte Handlung soll sich in einem etwa 20qm großen Appartement abspielen.
B. Es soll folgende Wendung vorkommen: „Tagesspiegel ist doch voll Scheiße.“
C. Außerdem der Satz: „Das ist aber geräumig hier.“
D. Alle Beteiligten sollen im Laufe der Handlung rund zur Hälfte des Körpers nass werden.
Dieser Text erschien erstmalig im Juli 1998 in den Dob Red Protokollen 2.
Die Redaktion Dobermann Rallye existierte von 1991 bis 2000.
Publikationen der Redaktion erfolgten unter den Namen: Dobermann Rallye, Pekinese Schnitzeljagd und Die Dob Red Protokolle
Jean Mofette / Bringt mir den Hut von Erich Mielke / Die Dob Red Protokolle 2 / ISSN 1435-1625