Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven 07

Karo Voormann
MEINE ERFAHRUNGEN MIT DEN TRÄGERINNEN WEIBLICHER VORNAMEN

Also die Verteilung weiblicher Vornamen ist ja äußerst unausgeglichen. Manche gibt es ganz oft, andere dagegen so gut wie gar nicht, also nur so etwa einmal pro erweitertem Bekanntenkreis. Zur ersten Kategorie gehören Namen wie Petra, Andrea oder Albertina. Eine Volkszählung hat kürzlich ergeben, dass ich persönlich sage und schreibe 11 Albertinen kenne. Was nicht heißen soll, dass ich mit allen noch in Kontakt stehe oder je in engerem Kontakt gestanden hätte. Albertina Tomaso beispielsweise ist die Tochter meiner Sekretärin, deren entzückendes Foto ich zwar Tag für Tag im Vorzimmer bewundern kann, die persönlich kennenzulernen ich jedoch nie das Vergnügen hatte. Berti Beier dagegen war volle 12 Jahre meine Trainerin, bis ich aus beruflichen Gründen das rhythmische Synchronschwimmen an den Nagel hängen musste. Ich schreibe ihr noch jährlich eine Karte zum Geburtstag. Albertina Turner, der alternde Vulkan unter den afroamerikanischen Rockladies, ist mir ehrlich gesagt nur aus dem Fernsehen bekannt. Tina Hundertmarck ist die Schwester der mir wesensverwandten Mathematikerin Nadine Hundertmarck, eine wirklich sympathische Person. Albi Begowitsch Hugendubel ist der Name einer Frau von Format, von der ich nur Gutes sagen kann und der mein voller Respekt gilt. Sie hat es in den 8 Jahren ihres Lebens, die sie mit mir verbrachte, gewiss nicht leicht gehabt, aber sie wurde ihrer Verantwortung als Gouvernante immer in vollem Umfang gerecht. Albertina und Albertina, die Inhaberinnen des gleichnamigen Accessoirekontors, in dem ich für gewöhnlich meine Krawattennadeln polieren lasse, sind Damen von vorzüglicher kultureller äh Beschaffenheit. Tina Müller, die Bekannte eines Schwagers des Coiffeurs meiner Cousine, ist eine reizende junge Frau von perfekter Natürlichkeit und unprätentiösem Intellekt. Ich habe lange schlaflose Nächte verbracht, in denen ich mich mit dem Gedanken quälte, ob ich es wagen dürfe, ihr einen Antrag zu machen. Um meinen Seelenfrieden wieder zu erlangen, habe ich es schließlich getan und – seufz – einen Korb erhalten. (Pause) Entschuldigen Sie bitte. (seufzen, Augenreiben) Nun ja (schluck) ich muss meine Liste zu Ende bringen. Die neunte Albertina im Kreise der mir persönlich bekannten Vertreterinnen des schönen Geschlechts (von dem ich mich seit dieser enttäuschenden Erfahrung mit Tina Müller im Übrigen gänzlich abgewendet habe) ist Albertina Onassis, meine Putzfrau, die zehnte ist Bertchen Bartholmy, die Ehefrau des Amokläufers Bartholmy, einem früheren Studienkollegen von mir, die elfte schließlich ist Albertina die Dritte, Prinzessin von Kuhstall, besser bekannt als die Schrippenbäckermatrone. Sie ist meine Patentante.

Neben den häufigen gibt es, wie gesagt, auch die sehr seltenen Namen. Von zwei weiblichen Namen ist mir tatsächlich je nur eine einzige Trägerin bekannt. Der erste ist der Name Premiere. Der zweite ist Dioptrien.
Mit Premiere Waigel teilte ich 5 Jahre Tisch und Bett, bis wir am Ende einer über mehrere Monate sich ziehenden Krise im Streit uns entzweiten. Das war in der Zeit, als ich Tina Müller kennengelernt hatte und mich offenkundig – damals wollte ich es mir nicht eingestehen, aber im nachhinein ist es klar – schon sehr zu ihr hingezogen fühlte, während meine Liebe zu Premiere merklich abkühlte. Trotzdem muss ich sagen: die Art und Weise, wie wir auseinander gingen, war nicht schön. Wir hatten uns entschlossen, gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Doch es zeigte sich schon bei der Auswahl eines geeigneten Reiseziels, dass die Zeiten trauter Glückseligkeit wohl unwiederbringlich vorüber waren und auch ein Urlaub nichts mehr retten würde. Wir schlugen einander die schönsten Orte der Welt vor, ernteten aber meist nur unbegeistertes Nölen vom Gegenüber. Ich sagte: Wie wär’s mit Madagaskar? Das ist weit weg und trotzdem kaum Zeitverschiebung. Sie entgegnete: Ach nee, ich wär mehr für Jakutien, die bezaubernde kühle Perle des Nordens. Das gefiel mir wieder nicht. Ich entgegnete, da müsse man doch wahrscheinlich mit einem russischen Atom-U-Boot hinfahren und die seien ja alles andere als sicher, nach allem, was man so höre. Was sie denn von der Insel Juist halte. Sie hielt nicht viel davon, und so ging es eine Weile fort, bis ich mir dachte, ich könne die Sache ein bisschen auflockern, indem ich ein Wortspiel unter Verwendung ihres Vornamens und der Bezeichnung für das Empfangsgerät des gleichnamigen Fernsehsenders mache. Ich sagte also, den Zeigefinger in die Höhe reckend: Ich hab’s, Premiere, Dakota wär doch super. Die Reaktion konnte ich nicht als Hinweis darauf deuten, daß es mir gelungen war, die angespannte Stimmung aufzulockern. Ich konnte sie vielmehr ohne jeden Zweifel dahingehend deuten, das genaue Gegenteil erreicht zu haben. In Worten lautete sie (die Gesten lass ich hier mal weg): „Weißt Du was?“ (ich wusste es nicht, aber ich wusste, dass es nichts Gutes war) „Du kannst Dir Deinen scheiß Urlaub in den Arsch stecken und Deine bekloppten superlustig Wortspiele gleich hinterher. Tschüß.“ Dann ging sie, schmetterte die Tür krachend ins Schloß, und ich blieb allein zurück. Aussöhnungsversuche fanden bis heute nicht statt.

Eine ganz andere Geschichte verbindet mich mit der Äquilibristin Dioptrien Latour. Äquilibristik nennt der Lateiner die Kunst des Seiltanzes und ähnlicher Balanceakte. Wie jeder weiß, der schon einmal Berlins Gelbe Seiten gelesen hat, ist die einzige, die in dieser Stadt die Gleichgewichtskunst lehrt, besagte Mademoiselle Latour. An sie wandte ich mich, nachdem ich schweren Herzens Abschied von Berti Beier genommen hatte. Obwohl ich einfach nicht mehr die Zeit hatte, jene wöchentlich 6 bis 8 Trainingseinheiten zu absolvieren, die unerlässlich sind, will man sich im rhythmischen Synchronschwimmen im nationalen Mittelfeld behaupten, war mir die Freude an der Bewegung und sportlichen Körperbeherrschung keineswegs abhanden gekommen. So kam ich auf den Seiltanz. So traf ich Dioptrien. Und ich muss sagen: sie beeindruckte mich von der ersten Sekunde an. Sie glich einem menschgewordenen Kraftstrom, der sich bei aller Leichtigkeit der Bewegung doch beständig zum Erdmittelpunkt hin ausrichtete. Während wir Sterbliche uns in der Schwerkraft bewegen, oft in ihr taumeln und von ihr zu Boden gebracht werden, war sie die Schwerkraft selbst.
Leider zeigten bereits die ersten Unterrichtsstunden, dass bei mir Kraut und Rüben verloren waren, und es wurde mit unerträglich peinlich, vor den Augen dieser magnetischen Frau herumzutorkeln wie ein alkoholisierter Dalmatiner. Darum versuchte ich, die mich peinigende Lehrer-Schüler Beziehung aufzulösen und sie ins Bett zu kriegen. Doch auch hierbei scheiterte ich kläglich, so dass mir nichts blieb als fortan dem Unterricht fern zu bleiben.
Nie wieder in meinem Leben habe ich eine Frau namens Dioptrien getroffen.

Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven / Trägerinnen weiblicher Vornamen
Dieser Text erfüllt alle Bedingungen des Dobermann-Rallye-Wettbewerbs Nr. 1:
A. Mehr als zwölf Frauen sollen in der Geschichte vorkommen.
B. Der Text soll das Wort: „Waigel“ enthalten.
C. Außerdem den Begriff: „Premiere-Decoder“.
D. Der letzte Satz des zweiten Absatzes soll nicht mehr als vier Worte enthalten, wobei das letzte Wort „Dioptrien“ lauten soll.
Dieser Text erschien erstmalig im Januar 1998 in den Dob Red Protokollen 1.
Die Redaktion Dobermann Rallye existierte von 1991 bis 2000.
Publikationen der Redaktion erfolgten unter den Namen: Dobermann Rallye, Pekinese Schnitzeljagd und Die Dob Red Protokolle
Karo Voormann / Meine Erfahrungen mit den Trägerinnen weiblicher Vornamen / Die Dob Red Protokolle / ISSN 1435-1625