Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven 23

Jean Mofette
LOGIPLANT NEUF. KAP III. TOD IN DER KOMBÜSE

Die Sensoren der Jupiter X meldeten die Position der Callisto an den Stützpunkt der UC auf Europa. Sie befand sich knapp über der Wolkendecke am Äquator des größten Planeten des Sonnensystems. Die Kommandantin der Station Admiral Scilla befahl, die Callisto über das Eintreffen des Sonderbeauftragten ordnungsgemäß zu unterrichten.

Die Sonderbeauftragten der UC wurden in letzter Zeit immer häufiger in den Aussenbezirken des Terranischen Imperiums tätig, um Kampfbereitschaft, Moral und Loyalität der dort stationierten Verbände zu prüfen. Man befürchtete eine ernsthafte Krise, denn jüngst konnten zahlreiche Agenten aus den ehemaligen Kolonien Terras, die sich in der Föderativen Vereinigung Unabhängiger Planeten (FVUP) verbündet hatten, enttarnt werden. Offenbar war das Ziel der FVUP die systematische Unterminierung der Ringverteidigung Terras.

Admiral Scilla war sich der Gefahr bewusst, die das inquisitorische Misstrauen der UC-Leitung schuf. Eine Flotte konnte so weit entfernt von den Heimatplaneten nur mit großem gegenseitigen Vertrauen geführt werden. Es sah so aus, als hätte die FVUP die Entdeckung ihrer Agenten bewusst geplant, die Reaktion der UC vorausberechnend, um ihren Einfluss zu vergrößern. Mehrfach hatte Scilla ihre Bedenken gegenüber der Admiralität geäußert, wurde jedoch stets mit einem Bedauern abgewiesen. Ihrer Einschätzung nach war es nur eine Frage der Zeit, bis die Besatzungen der Schiffe und Stützpunkte gegen das ihnen entgegengebrachte Misstrauen revoltieren würden und damit die Katastrophe, die Liquidierung des Verteidigungsgürtels, einträte.

Die UCS Callisto war nur einer der sechzehn Kampfkreuzer der Jupitersektion, die allesamt nach den Monden des riesigen Gasplaneten benannt waren. Die Flotte bildete den Außenposten des Terranischen Imperiums, sollten es abschotten gegen die ehemaligen Kolonien auf den äußeren Planeten, die nach und nach zur Nemesis Terras zu werden drohten. Der Erzreichtum ihrer fast fünfzig Monde gestattete der FVUP den Auf- und Ausbau einer prosperierenden Industrie, die ihr auch die Entwicklung einer fortgeschrittenen Waffentechnologie ermöglichte. Waffen gegen Terra, so befürchteten die Regierungen der UC in New York, Madrid und Singapur.

Captain Ngorod sinnierte über die letzte Transcom-Meldung. Die Kontrollen kamen immer unerwartet und trotzdem war ihm etwas mulmig bei dem Gedanken, sich dem Kommando des Sonderbeauftragten des Zentralausschusses der UC zu unterstellen. Die Instruktionen besagten, dass sich die Besatzung der Callisto innerhalb der nächsten Stunde auf die Ankunft des Sonderbeauftragten vorzubereiten hatte. Der Sonderbeauftragte werde mit der Elara, dem Schwesterschiff der Callisto, anreisen.

„Noch zwanzig Minuten bis zum Rendevous mit der Elara. Das gesamte Flugdeckpersonal Position einnehmen.“ Die freundliche Computerstimme informierte alle Decks. Rachel Palmer, die als Politkommissarin der United Corporations ihren Dienst auf der Callisto antrat, räumte ihr Gepäck aus. Vor siebzehn Stunden war sie mit dem Transkreuzer Ananke IV von der Europa-Station auf das Schiff übergesetzt. Die Begrüßung durch Captain Ngorod war höflich ausgefallen. Formell aber höflich. Nicht anders zu erwarten.

In der Bordküche der Callisto, die offiziell Rührei auf der Gabel hieß, von der Besatzung jedoch liebevoll Kombüse genannt wurde, begutachtete der neue Koch Kekonnen das Inventar. Der Finne tat zuvor Dienst auf dem Schlachtschiff Phobos der Marsflotte, kämpfte ruhmreich in beiden Kolonialkriegen und erwarb sich so das Vertrauen, das für einen Schiffskoch notwendig war.

Ein Räuspern ging durch den Lautsprecher in der Kombüse: „Noch zwanzig Minuten bis zum Rendezvous mit der Elara. Das gesamte Flugdeckpersonal Position einnehmen.“
„Achtung, Bereitschaft für alle Decks!“ befahl Captain Ngorod, „Maschinen stop! – Kontakt mit der Elara aufnehmen!“ Sogleich wurde der Befehl befolgt. „Die Elara meldet sich, Sir.“ sagte der Funkoffizier knapp. Auf dem Hauptschirm erschien das bärtige Gesicht des Captains der Elara.
„Hier spricht Captain Zing, Kommandant der Elara.“
„Ich bin Captain Ngorod von der Callisto. Alles bereit zum Rendevous?“ fragte Ngorod.
„Alles bereit, Captain!“ erwiderte Zing. Eine gewisse Erleichterung war ihm anzumerken.
„Gut. Dann beginnen wir am besten sofort!“
„Einverstanden, Captain Ngorod. – Ich wünsche Ihnen und Ihrer Besatzung viel Glück!“
„Danke, Captain Zing!“

Das bärtige Gesicht verschwand. „Achtung, Besatzung!“ sprach Ngorod lautstark ins Intercom. „Hier spricht der Captain. Wir werden in Kürze den UC-Sonderbeauftragten an Bord begrüßen dürfen. Ich wünsche, dass alle eventuellen Vorbehalte für die Dauer seines Besuches zurückgesteckt werden! Alles muss penibel nach Vorschrift ablaufen! Der Sonderbeauftragte hat Zugang zu allen Abteilungen!“

Die Elara schwebte bis auf die wenigen hundert Meter Sicherheitsabstand an die Callisto heran. Die Bugluken der beiden Schwesterschiffe öffneten sich fast gleichzeitig, zuerst die der Elara, aus der das Shuttle des Sonderbeauftragten sich in die Lüfte schwang, um mit einer eleganten Kurve wie ein Adler auf die Callisto zuzuschweben.
Die Begrüßung des Sonderbeauftragten fiel unterkühlt aus. Anschließend begann er sofort mit der Inspektion.

Die Besatzung der Callisto war nervös. Trotzdem verlief alles planmäßig.
„Nichtidentifiziertes Objekt an Backbord, Sir!“ meldete der Observator aus seiner Kanzel.
„Entfernung?“ erkundigte sich Captain Ngorod.
„Vier Komma zwo. Schnell näherkommend. Geschwindigkeit: Drei Komma zwo.“
„Erster Alarm für alle Decks! Deflektorschilde ausfahren.“ Captain Ngorod war ungehalten: „Großartig! – Gefechtsstationen besetzen!“
„Captain, wir können das Objekt identifizieren: Es ist ein Rebellenkreuzer.“ meldete ein anderer Observator.
„Er gibt eine Salve ab!“
„Ausweichen!“
Die Callisto stieg um dreihundert Meter. Ein Torpedo traf dennoch. Die Detonation erschütterte das Schiff.
„Schilde halten! Keine Schäden!“
„Feuer erwidern!“ kommandierte Ngorod.
„Bereich C 18 meldet einen Abfall des Schildes, Sir!“
„Unmöglich! Überprüfen Sie, Lieutenant!“
Bereich C 18 lag Steuerbord.

„Bestätige Meldung, Sir! Bereich C 18 liegt ungeschützt!“
„Kompensieren!“
„Aye, Sir!“
„Feindschiff ändert Kurs!“
„Ein weiterer Rebellenkreuzer, Sir! Er kommt von achtern!“
„Sofort feuern!“
„Zweiter Kreuzer feuert!“
Erneute Detonationen.
„Schadensmeldung!“ schrie der Captain.
„Wir haben ein Leck in C 18, Sir! Ich konnte den Schildfehler nicht rechtzeitig kompensieren!“

Der Lieutenant zitterte.
„Erstes Feindschiff zerstört, Sir!“
„Alle Feuerkraft auf das zweite!“
„Aye, Sir!“
Der zweite Rebellenkreuzer zerstob zwischen den Wolken.
„Kein Feindschiff in Sicht, Sir!“
„Weiter beobachten! Erster Alarm bleibt bestehen. – Wie schwer sind die Schäden in C 18?“ verlangte der Captain zu wissen.
„Aussenmantelriss, Innenmantelung hält bisher. In der Kombüse gibt es einen Toten und einen Verletzten.“
„Wer? Der Koch?“
„Ja, Sir. Der Tote ist der Koch und …verletzt wurde der Sonderbeauftragte, Sir!“
„Nicht andersherum?“
„Nein, Sir!“
„Der Sonderbeauftragte behauptet, dass Kekonnen ihn attackiert habe, nachdem er die Manipulationen an der Schildvorrichtung entdeckt hatte.“ Rachel Palmer lieferte einen ersten Bericht über das Vorkommnis beim Captain ab. Die Politkommissarin war eingeteilt worden, den ungewöhnlichen Ausfall des Deflektorschildes zu untersuchen.

„Kekonnen ein Saboteur?“ fragte der Captain skeptisch von seinem Schreibtisch aus.
„Ich weiß, Sir! Kekonnens Akte lässt so etwas keineswegs vermuten. Er ist nicht umsonst Schiffskoch geworden. Andererseits habe ich keinen Grund, an der Aussage des Sonderbeauftragten zu zweifeln.“
„Wie geht es dem Sonderbeauftragten eigentlich?“
„Den Umständen entsprechend. Er hat einige mittelschwere Stichverletzungen, die von einer Gabel herrühren könnten.“
„Ich frage nur wegen der Möglichkeit eines Schocks. Vielleicht weiß er nicht, was er sagt.“
„Nach der Aussage Doktor Blacks hat der Sonderbeauftragte kurz nach dem Attentat einen Schock erlitten, den er jedoch schnell überwand.“
„Videoüberwachung?“
„War ausser Betrieb.“
„Dann stecken wir etwas im Dilemma. – Gut. Untersuchen Sie die Angelegenheit weiter.“
„Ja, Sir!“

Palmer ging die Aussagen des Personals, das den Sonderbeauftragten geborgen hatte, noch einmal durch. Der Sonderbeauftragte hatte nicht deutlich sprechen können, als er gefunden wurde. Er stand unter Schock. – Kekonnen starb durch einen Stich in die Brust, der, kraftvoll ausgeführt mit einem Küchenmesser, den Thorax von linkerhand bis zum Brustbein aufgetrennt und dabei einen Lungenflügel und das Herz zerstört hatte. Der Sonderbeauftragte hatte sich gezielt verteidigt. – Hatte er sich gezielt verteidigt?

Wenn es schon keine Videoaufzeichnung von der Tat gab, so existierte doch ein Band von den Vorgängen vor der Kombüsentür. Die Politkommissarin betrachtete die Aufzeichnung mehrmals. Sie folgte aufmerksam dem Gespräch zwischen dem Personal und Doktor Black und dem Gemurmel des Sonderbeauftragten, der sich öfters erbrach. Sie variierte die Einstellungen des Computers, um die Worte des Verletzten deutlicher hörbar zu machen. Das Ergebnis war unbefriedigend. In der Vergrößerung erkannte Palmer allerdings, dass der Sonderbeauftragte keineswegs willkürliche Laute formte.

„Computer! Reproduziere die Äußerung des Sonderbeauftragten!“
Der Computer reagierte prompt: „Voin pahoin.“
„Gehört das zu einer Einzelsprache?“
„Ja. Es ist Finnisch.“
„Finnisch!“ wiederholte Palmer.
„Bestätigt.“
„Computer! Gegenwärtigen Aufenthaltsort des Sonderbeauftragten ermitteln!“
„Flugdeck an der Vorderfront.“
„Analysiere auf Unregelmäßigkeiten!“
„Unvorschriftsmäßige Energiequelle im Hüftbereich.“
„Könnte es sich um einen Holographen handeln?“
„Bestätigt. Es handelt sich um einen Holographen.“
Rachel Palmer betätigte das Intercom.

Die Sicherheitsbeamten kamen zu spät. Kekonnen war bereits mit einem Transfershuttle gestartet und wenig später in den Wolken verschwunden. Das Motiv für sein Verbrechen wurde nicht entdeckt. Rachel Palmer vermutete indessen, dass Kekonnen seine Tat lange im voraus geplant und sich zu diesem Zweck auf eines der Schiffe der Jupiterflotte hatte versetzen lassen.

Weiterhin wurde den Strategen Terras klar, dass die FVUP bereits irgendwo unter der Wolkendecke des Gasplaneten ein Schiff stationiert gehabt haben mussten, wollte man nicht annehmen, dass Kekonnen nach all dem Aufwand Selbstmord begannen hatte oder ganz einfach verrückt geworden war.

Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven / Tod in der Kombüse
Dieser Text erschien erstmalig im Juni 1993 in: Dobermann Rallye 3.
Die Redaktion Dobermann Rallye existierte von 1991 bis 2000.
Publikationen der Redaktion erfolgten unter den Namen: Dobermann Rallye, Pekinese Schnitzeljagd und Die Dob Red Protokolle
Jean Mofette / Logiplant Neuf / Tod in der Kombüse / Dobermann Rallye 3 / Die Dob Red Protokolle / ISSN 1435-1625