Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven 05

Andreas Hofbauer
WEIHNACHTEN 1999

Der Winter war sehr kalt. An den Adventssamstagen lief das Geschäft weit besser als im Vorjahr. Kein Wunder, denn die Menschen hatten sich außer auf Weihnachten auch auf die Jahrtausendwende vorzubereiten. Da war an den Sport des Sparens wohl kaum zu denken. Der Renner in den Spielwarenabteilungen war das 3-D Würfelbrettspiel Die große Heuschreckenplage in Alaska, das kurz zuvor als aussichtsreichster Kandidat für die Wahl zum Spiel des Jahres gehypt worden war.

Ich, Karel Radenkovic, wollte es gewiss niemandem auf dem Gabentisch präsentieren. Ich war im Entwicklerteam der wahren Geschichte, die diesem Spiel zugrunde liegt. Heute bin ich arbeitslos. Doch kein Mensch denkt daran, mir Tantiemen aus den Erlösen dieses Megasellers zu bezahlen, der für immerhin 79 Mark für ein bisschen Pappe und ein paar Würfel über die Theke wandert und so schon allein von der Anzahl der produzierten Sets wahrscheinlich zu einer größeren Katastrophenplage werden dürfte als es das kleine Malheur, das uns unterlief, je gewesen ist.

Das sagenumwobene Ökosystem von Alaska, das ja im wesentlichen aus Eis und kleinem Mistkram besteht, hat durch die Heuschrecken keinen Schaden erlitten. Unsere Aufgabe war es, einfache Bodenbakterien genetisch so zu verändern, dass sie als Defroster für Autobahnen genutzt werden konnten. Die Verwendung von Salz ist bekanntlich wegen nachteiliger Wirkungen auf die Straßenrandflora seit langem nicht mehr opportun. Die Sache lief tadellos. Wir hatten viel schneller als erwartet ausgezeichnete Resultate. Da sagte Bob zu mir: „Karel, was meinst du, wie sollen wir die restlichen Projektgelder verbraten?“ Ich meinte: „Lass uns neue Rechner kaufen, die kann man immer brauchen.“ Bob antwortete wie üblich nicht. Zwei Minuten später sagte er: „Lass uns richtig auf die Scheiße hauen. Lass uns kleine lebende Schneeräumfliewatüts bauen.“ Gesagt getan, Gryllus Campestris, die Feldgrille, schien uns ein geeigneter Saalkandidat für das Unterfangen. Da die Sache ja ohne Forschungsantrag lief, wir keine Dokumentation liefern mussten und nicht unter Erfolgszwang standen, erlaubten wir uns, die unkonventionelle Hexametermethode anzuwenden. Wir machten einfach eine lyrische Mischung aus unseren neu gebastelten Defrosterbakterien und Feldgrilleneiern und hielten ordentlich mit mutagener Gamma 4 Strahlung drauf. Kein Mensch wollte es hinterher glauben, aber es klappte. Und es klappte schnell, so dass immer noch Forschungsgelder übrig waren. Da war kurzerhand der Entschluss gefasst, eine Exkursion in ein geeignetes Versuchsgebiet zu starten. Wir flogen nach Alaska.

Dort passierte, was nicht zu erwarten gewesen war. Die Biester vermehrten sich ein bisschen unkontrolliert und putzten unsere Iglus und ein paar Eishügel in der Umgebung weg. Eigentlich kein Grund zur Aufregung, aber die Amerikanos waren gerade verflucht scharf darauf, ihre neuen Feuerbomben zu testen. Sie holten uns früh um vier rambomäßig mit einer Hubschraubertruppe weg und ließen dann eine Monsterbombe über dem Gebiet hochgehen, die in einer halben Sekunde sämtlichen Sauerstoff im Umkreis von drei Kilometern in einen riesigen Feuerball in 200 Meter Höhe hineinriss. Den anaeroben Bakterien war das egal. Sie wurden erst eine Zehntelsekunde später von der Hitzewelle verbrannt. Aber die Heuschrecken waren sofort futsch und tot.

Der Befehlshaber dieser Scheißaktion, Doug Doberman, kommentierte das Bombeninferno, mit dem sie unsere 1A schneefressenden Heuschrecken plattgemacht hatten, hinterher mit den Worten: „Es war überwältigend anzusehen, es war, als wäre ein Engel durchs Zimmer gegangen.“ Da sieht man doch wohl, dass diese Armeetypen nicht mehr alle vier Räder am Auto haben.

Anschließend wurden natürlich wir zum Buhmann gemacht und die Rambosi Militiae als Retter gefeiert. Ich verlor Haus und Hof und hatte weder Geld noch Laune, das als Spiel des Jahres designierte Märchen von der ach so bedrohlichen Heuschreckenkatastrophenplage in Alaska zu erwerben. Stattdessen bastelte ich meinem kleinen Neffen etwas viel schöneres: ein Radeberger Kerzenspiel. Dazu braucht man lediglich drei Flaschen Radeberger, ein paar Pyramidenkerzen, zwei-dreihundert Gramm Schwarzpulver und eine Handvoll Defrosterbakterien. Kost alles zusammen keine 10 Mark.

Die schönsten Geschichten aus den Dobermann-Rallye-Archiven / Weihnachten 1999
Dieser Text erfüllt alle Bedingungen des Dobermann-Rallye-Wettbewerbs Nr. 2:
A. Es soll das Radeberger Kerzenspiel vorkommen.
B. Die große Heuschreckenplage in Alaska soll eine Rolle spielen.
C. Ein Dobermann soll sagen: Als wäre ein Engel durchs Zimmer gegangen.
D. Es soll ein Auto mit drei Rädern vorkommen.
Dieser Text erschien erstmalig im Juli 1998 in den Dob Red Protokollen 2.
Die Redaktion Dobermann Rallye existierte von 1991 bis 2000.
Publikationen der Redaktion erfolgten unter den Namen: Dobermann Rallye, Pekinese Schnitzeljagd und Die Dob Red Protokolle
Andreas Hofbauer / Weihnachten 1999 / Die Dob Red Protokolle 2 / ISSN 1435-1625